Die Werft

02.09.2002

Eckehard Lowisch, meino.de, Björn Borgmann, Kurt Majewski, Andre Przybylak

Fünf Wuppertaler Künstler, getrieben von dem Bedürfnis nach einer inhaltlich tragfähigen Neubestimmung eines möglichen aktuellen Stellenwertes von Kunst, haben sich zu einer Gruppe zusammengefunden: DIE WERFT: André P. (Przybylak), Kurt Majewski, Björn Borgmann, meino.de und Eckehard Lowisch.


Warum wird noch Kunst gemacht?

Für die Dauer der Ausstellung liegt Wuppertal am Meer, und fürchtet sich vor dem 'Blanken Hans'. Aber zu den vielen möglichen Wirkungen der Kunst gehört glücklicherweise auch, daß sie Angst vertreiben kann. Das zeigte die Gruppe der ganzen Stadtweithin sichtbar, indem sie auf dem Dach des Sparkassenhochhauses einen riesigen Anker installierte - in einer Projekt-Skizze, die leider auf dem Papier bleiben mußte.
So zeigten die Künstler jeweils ihre eigenen individuellen Verankerungen in den bildenden Künsten.

Katalogtext:

Andreas Steffens

„Die Werft“
oder
Gemeinsam klüger werden

Ein Gruppen-Projekt
Warum wird noch Kunst gemacht ?


Im unvollkommenen Blickfeld seines sichtbaren Universums formulierte die Vollkommenheit dieser schwingenden Bewegung Versprechungen, denen die Erfüllung wegen der unwiederholbaren Einmaligkeit jeder einzelnen Welle versagt bleiben mußte. Keine Aussicht, den fortwährenden Wechsel zwischen Erschaffung und Vernichtung anhalten zu können. Seine Augen suchten die beschreibbare und geordnete Wahrheit einer gesicherten und vollständigen Erscheinung: und verfolgten am Ende doch nur die sich bewegende Unbestimmtheit des Kommens und Gehens, die jeden wissenschaftlichen Blick einlullte und belächelte.
Das war ärgerlich. Man mußte etwas unternehmen.
Alessandro Baricco, >Oceano Mare<

Diese Frage ist zu einem Hauptantrieb des zeitgenössischen Kunstmachens geworden, wenn nicht zu seinem eigentlichen Antrieb überhaupt. Die Aufkündigung der Selbstverständlichkeiten, die zum wichtigsten ästhetischen Maßstab der Moderne wurde, hat vor deren eigener Entfaltung in angemessener Folgerichtigkeit nicht Halt gemacht. Ihre eigenen Standards traten längst in das Stadium ein, in dem aus einem lange diffus gebliebenen Unbehagen schließlich Aktionen experimentellen Infragestellens wurden.
Zeiten neuer Orientierungen sind Zeiten der Gemeinschaft. Mag man als einzelner Künstler für sich selbst seine Absichten, Begründungen und Praktiken finden, ihre Erprobung und Bewährung hängt nicht von einem allein ab. Mit anderen, die gleiche Fragen beschäftigen, Eigenes zu erproben, bietet ein unschätzbares Medium der Selbstvergewisserung. Neben dem Pragmatismus gemeinsam betriebener Interessenvertretung in einem Betriebssystem Kunst, das Individualität zwar unablässig einfordert, aber selten wirklich zulässt, sondern spekulativ auf Wie-dererkennbarkeit setzt, ist diese Vergewisserung der wichtigste Impuls, Gruppen zu bilden.
Wenn das Kunstmachen nicht aus Gewohnheit und Freude an den Traditionen des schönen Bildens geschieht, dann, um nicht so dumm zu bleiben, wie es unsere Zivilisation von ihren Angehörigen erwartet, die sie nur noch als Funktionäre geleiteter Systeme kennt. Es ist eine Weise, die Anmaßung der Intelligenz zur Geltung zu bringen, wenigstens verstehen zu wollen, woran man sich beteiligen muss. Künstler sind heute schon, und werden es in Zukunft immer mehr sein, Menschen, die ihr Leben führen, indem sie wissen wollen, unter welchen Umständen es geschieht – Verweigerer der einfachen Leichtigkeit zu sein.

Kunstmachen heißt in diesem Sinn, einer Haltung Form geben.
Das kann jeder immer noch am besten für sich allein. Aber die Haltung selbst klärt sich mehr als in den Reaktionen, die ihre Ausprägungen hervorrufen, in der Gemeinschaft Gleichgesinnter, die voneinander die Präzision ihrer Absichten und Verfahren verlangen.
Die WERFT ist eine Künstlergruppe, die wieder über Inhalte sprechen und Stellung nehmen will, zu Ästhetik und Stellenwert der Kunst heute. Die Realisierung von Kunstprojekten und Ausstellungen, die Einladung von Referenten und die diskursive Standortbestimmung sind die Hauptziele der WERFT.

Ein dürftiges Programm, mag meinen, wer mit eloquenten ästhetischen Programmatiken ähnlicher Unternehmungen vertraut ist. Aber manchmal ist weniger wirklich mehr. Da keine der überkommenen Selbstverständlichkeiten weder der Kunstproduktion noch ihrer Kritik unangefochten geblieben sind, erscheint keine Programmatik mehr als situationsangemessen, die schon vorab zu benennen weiß, welche künstlerischen Gebilde sie entstehen lassen wird. Es nicht zu genau vorauszusehen, ist eine wesentliche Bedingung ästhetischer Produktivität von Rang geworden. Denn um diese Produktivität geht es im Kunstmachen auf absehbare Zeit, nicht um die Produktion genau definierter Hervorbringungen, da die Künste zu Experimentierfeldern für die Wahrnehmung von Wirklichkeiten wurden, die sich in keine der überlieferten Kulturformen ihrer Bestimmung und ihres Gebrauchs mehr selbstverständlich einfügen.
Kein Programm zu haben, ist auf absehbare Zeit die wichtigste Voraussetzung auch für produktive Gruppenarbeit: sich eine Aufgabe zu stellen, und diese unter veränderten Umständen immer wieder neu zu definieren, das heißt, sie von eben diesen Umständen definieren zu lassen.
Die mögliche zivilisatorische Leistung fortgesetzten Kunstmachens liegt in der damit möglichen Modellhaftigkeit eines Verhaltens begründet, das die Sinn-offenheit sich in überwältigender Beschleunigung verändernder Lebensbedingungen nicht als Sinn-losigkeit mißversteht, sondern als Chance zu überlegten Eigenbestimmungen wahrnimmt, deren Manifestationen in Handlungen und Hervorbringungen zu Elementen des Veränderungsprozesses werden können.
Das Spielfeld ästhetischen Handelns, wie es in einer derartigen Gruppenarbeit stattfinden kann, ist ein Experimentallabor möglicher Handlungen im Kontext einer Wirklichkeitswandlung, für deren Bestimmung die überlieferten kulturellen Codes immer weniger ausreichen werden: ins Offene des Unbestimmten hinein tätig und hervorbringend zu reagieren.

Ein vom Main an den Rhein übersiedelter Verleger, befragt, was sein Lieblingsort sei, gab zur Antwort: Köln, mit Blick aufs Meer.

Den bietet auch das Wuppertal, jedenfalls fünf Zeitgenossen, die einen Großteil ihrer Lebensführung damit zubringen, am Fortbestand von Kunst mitzuarbeiten, die hier den Ort ihrer „WERFT“-Gründung fanden.
Die maritime Metapher eröffnet ein breites Assoziationsfeld, das Hinweise auf das „Programm“ der Gruppe geben kann, das es nicht gibt, sondern im Laufe der Arbeit sich immer wieder neu konstituieren muss.
Das Meer ist die Realität unablässiger Bildung und Zerstörung von Formen desselben Elements: es bleibt, was ist, dadurch, dass es das, woraus es besteht, in ständiger Gestaltenbewegung hält.
Sich auf das Meer hinaus zu wagen, bedarf der überlegten Vorbereitung, spezifisch angepasster Vehikel, und des Mutes. Was die WERFT verläßt und die Probe des Stapellaufs bestanden hat, ist dazu bestimmt, sich den Gefahren zu stellen, die im Offenen des berechenbaren, doch nie beherrschbaren Elements lauern, das ebenso tragen wie vernichten kann.
Nicht nur geographisch kommen die WERFT-Arbeiter aus verschiedenen Regionen. Auch ihre künstlerischen Metiers sind verschieden genug, um produktive Spannung zwischen ihnen zu gewährleisten.
Was sie zur Gemeinsamkeit der WERFT verbindet, ist die Erwartung, sich gegenseitig dazu anzuhalten, in gemeinsamem Tun eigene Möglichkeiten kennenzulernen und zu erproben, von denen sie sonst nichts erführen oder die ungenutzt als reine Potenzialitäten gebunden blieben. Der Ernst des Spiels wird für sie zum Katalysator, der freisetzt, was an Eigenem über die individuelle Praxis hinaus als Möglichkeit vorhanden, aber unentdeckt ist. Wie die heilsame Anmaßung des Kunstmachens überhaupt wesentlich darin besteht, Möglichkeiten dort vorauszusetzen, wo sie nicht vermutet werden.
Was ihre Verbindung wesentlich fördert, ist die produktive Tendenz, die ihr jeweiliges eigenes Bilden bestimmt: sie alle beschritten den Weg, der die (gemalten) Bilder in die dritte Dimension streben lässt.
Die nächstliegende Etappe auf diesem Weg ist der Schritt ins skulpturale Objekt, vollzogen im Arrangement der Aktion „Aufstellung“ (Pauluskirche Wuppertal 2001). Es griff in eine funktional definierte Situation dekonstruierend ein, indem es Kirchenbänke als Material für ein Raumobjekt benutzte. Die dysfunktionale Verwendung einer seiner Ausstattungsgegenstände versetzte den Kirchenraum in die Spannung aufgehobener Eindeutigkeit.
Das genaue Gegenstück, angesiedelt am anderen Pol möglicher Entwicklung, ist die Rücknahme des Bildes aus der zweiten in weniger als die erste Dimension, ins virtuelle Bild elektronisch computierter Pixel: www.WERFTeV.de .
Am engsten verbinden die Installationen von meino.de beide Elemente miteinander, indem sie gemalte Bilder wie Fundstücke und plastische Objekte behandeln, die er miteinander zu Skulpturcollagen arrangiert. Eine Serie „Unwichtige Bilder“ bestreitet die dabei unübersehbar hervortretende relative Unwichtigkeit der Malereien.
Das umgekehrte Verfahren übt Kurt Majewski, der wirkliche Fundstücke zu Pseudo-Gemälden fügt. Seine im Gestus souveränen Zitats ausgeführten Assemblagen unterwerfen die dreidimensionalen Gegenstände der zweidimensionalen Ästhetik der Malerei. Ihr Gegenstandsein tritt zurück hinter ihre Eignung, Bestandteil einer malerischen Komposition zu sein. Die ihnen eigene Dynamik, um sich her einen Raum stiften zu können, wird in rahmenumgrenzte Bild-felder eingefügt, die die Raumenergien der Fundstücke zu Kompositionen von Bild-Illusionen ausbalancieren.
André P. komponiert seine Malereien als Collagen. Gemalte Zitate historischer Dokumentarbilder werden als Palimpseste ins Abstrakte strebender Farbbewegungen zu Vexierbildern eines hilflos gewordenen homo ludens, der sich unentwegt in die Katastrophen einer Geschichte verstrickt findet, die ihn zum Gefangenen einer Phantasie werden ließ, die die Freiheit des Spiels an die Zwänge der Beherrschung verriet. Die Freiheit des Spiels fordern die Bilder zurück, indem ihnen Fundstücke der technischen Welt auf eine Art eingefügt werden, die sie in der bildnerischen Komposition so sehr aufgehen lassen, dass ihre reine ästhetische Funktion ihre praktische Funktion vollständig auflöst.
Unter den Malern der WERFT ist Björn Borgmann der konsequenteste Plastiker. Der alles ergreifenden Flüchtigkeit in einer Zivilisation, die mehr und mehr auf Geschwindigkeit setzt und Wahrnehmung damit tendenziell ihrer Gegenstände beraubt, die er in „unfertigen“, verwischten Gemälden spiegelt, die nicht mehr zeigen, sondern nur noch erahnen lassen, setzt er die Präsenz von Objekten entgegen, deren massige Materialität sie unbezweifelbar macht.
In Zeiten der Auflösung des Wahrnehmbaren in reine Bilder, die über keine eigene Gegenständlichkeit mehr verfügen, hat es am dramatischsten mit dem Schwund der Materialität zu tun, dessen künstlerisches Metier Materialität in ihrer reinen natürlichen Präsenz ist. Der Bildhauer Eckehard Lowisch wählt als Strategie plastischer Selbstbehauptung die Travestie des Materiellen: Gegenstände, die es gibt, die aus anderen als den Materialien gefertigt sind, aus denen sie ihrer Funktion entsprechend bestehen, verlieren diese ans Material gebundene Funktion: Europaletten, die statt aus Holz aus Anröchter Dolomit gefertigt wurden, sind nicht mehr, was sie zu sein scheinen.
Die Absurdität der Vortäuschung eines Gegenstandes durch einen anderen konterkariert den unaufhaltsamen Wahrnehmungsschwund einer Kultur elektronischer Bildvortäuschungen. Das eigene Sein eines Gegenstandes, der in der Maske eines anderen präsentiert wird, bewährt das Spiel mit dem Schein als Kraft der Vergewisserung der Wirklichkeit, über die die Bildvortäuschungen uns immer wirksamer verfügen lassen, um den Preis ihrer zunehmenden Unbekanntheit.

Darum wird noch Kunst gemacht. Ohne die Abenteuer des Scheins lässt das Abenteuer Wirklichkeit sich nicht bestehen.