Fotografin, Fotografen, Fotografien

06.05.-10.07.2009

Die teilnehmenden Künstler:
Silke Kammann, Jörg Lange, Rolf Löckmann, Uwe Schinkel, Sigurd Steinprinz, Bjørn Ueberholz

Fotografin , Fotografen , Fotografien

Textauszug "ANSICHTEN VOM UNEINSEHBAREN: DAS SEHEN DER FOTOGRAFIE" von PD Dr. phil. habil., M.A. Andreas Steffens, erschienen im Katalog zur Ausstellung " Fotografin, Fotografen, Fotografien"

Jedes Foto ist ein Schreckensbild. Denn es macht etwas sichtbar, was kein Auge je zu sehen bekommt. Das begründet seine Magie. Das ist sein Zauber und sein Fluch. Es öffnet Einblicke in ein Sein, dem niemand von Angesicht zu Angesicht begegnen wird.

Das ist keine Frage des Sujets. Es gründet im Hyperrealismus der technischen Apparatur, die das Bild erstellt. Das Auge sieht anders. Weniger scharf, weniger gebannt. Wer ein Foto betrachtet, macht die Erfahrung, in der sich die Erfahrung des Seins verdichtet: etwas ausgesetzt zu sein, worüber man nicht verfügen kann, das vielmehr über einen verfügt.

Unser Leben spielt sich ab in einem Medium, das wir zwar benutzen, dessen objektive Teile wir jedoch ungleich stärker sind als die Subjekte, für die wir uns halten, die es sich für ihre Lebenszwecke zunutze machen. Den Grenzwert dieses Ausgeliefertseins an das, was uns möglich macht, bildet das äußerste Rätsel des Lebens, das an jedem Lebensende steht. Von einem Hotel in einem Bergstädtchen aus, in dem wir ein Zimmer mit Terrasse und Bett und einer arkadischen Aussicht finden, unternehmen wir Tagesausflüge nach Verona und Vicenca. Fotos, Fotos, Fotos und nochmals Fotos. Was ist das Gegenteil von Einen Nagel In Einen Sarg Treiben?

Nun, das jedenfalls ist es, was ich empfinde, wenn ich Claires Fotoapparat klicken und immer wieder klicken höre (Roth, Begierde, 202). Jedes Foto handelt vom Tod. Vom Tod als der Bedingung des Lebens. Das Foto ist indiskret. An jedem Portrait, an jedem Bild, auf dem Personen zu sehen sind, wird das deutlich. Zwar bietet das Bild dem, den es zeigt, die Bestätigung seines Seins und seiner Erheblichkeit, er ist es wert, gesehen worden zu sein; aber das Gesehenwordensein ist zugleich Enthüllung: das Bild, das es aller Welt zeigt, gibt der Unverborgenheit preis.

Was Jean Starobinski in einer frühen Studie über die Figuren Racines sagte, gilt für den Betrachter des Fotos in zugespitzter Weise. Der Akt des Sehens, in all seiner besitzergreifenden Gewalt, beherbergt die Schwäche und das Bewusstsein der Schwäche. Umgekehrt bedeutet das Gesehenwerden fast im gleichen Augenblick, sich als schuldig zu entdecken, in den Augen der andern. Was die Personen von Racine erwarten, ist der liebkosende Blick, sanfte, liebende Umhüllung; was sie in Wahrheit erfahren, ist ihre eigene Schuldigkeit. Nicht das Glück, betrachtet zu werden, sondern das Unglück, in der Verfehlung gesehen zu werden (Starobinski, Augen, 64). Und so, wie man ertappt wurde, wird man bleiben, für die, die einen zu sehen bekommen werden - nicht gerade auf "ewig", aber doch für die Dauer der Existenz dieses Fotos.