Tripping

29.01. - 16.02.2001

Renate Löbbecke, Nanny de Ruig, Irene Warnke

Die Vielfalt von Bild-Wirklichkeiten

Über das sogenannte oder vermeintliche Ende der Malerei wurde und wird viel diskutiert. Es gibt die melancholische Stimmung, aber auch Reaktionen des Triumphes – der Trauer steht die Gewißheit gegenüber, daß die Malerei der Vergangenheit angehörte, daß ihre Zeit abgelaufen sei. Ich weiß nicht genau, wie es um diesen angeblich Toten bestellt ist und frage mich, ob die einen und die anderen nicht doch zu übereilt vorgehen, überreagieren, eben nach Lust und Laune, wie es ihnen gerade gefällt. Vielleicht sind einfach die Prämissen falsch, nach denen geurteilt wird, oder es werden die richtigen Fragen nicht gestellt. Es kann ja nicht nur von diesen oder jenen Medien die Rede sein, von Verfahren und technischen Prozessen. Es geht vielmehr um die Erzeugung von Bildern insgesamt, das heißt um einen größeren Kontext – eine Antwort muß auf diesem Gebiet gegeben werden.

Banalitäten sollten vermieden werden, so auch die monotone Wiederholung, daß wir in einer von Bildern überfluteten Welt leben. Die Zeit liegt weit zurück, und die Angelegenheit erscheint im Rückblick harmlos, in der die Malerei der Konkurrenz durch die Fotografie ausgesetzt war. Die Bilder heutzutage sind andere – es gibt eine Vielzahl, und dieses Übermaß schließt einen Qualitätssprung ein. Es gibt ihre grundverschiedene Wesensart, Bilder unterschiedlicher Wirklichkeiten, Bilder der Virtualität, ihr Aufflackern und Erlöschen auf dem Schirm – Schein und Sein lagen nie näher beieinander. Letztendlich leben die Menschen heute nicht in der Welt. Sie leben nicht einmal in der Sprache. Sie leben vielmehr in ihren Bildern, in den Bildern, die sie sich von der Welt, von sich selbst und von anderen Menschen gemacht haben, die man ihnen von der Welt, von sich selbst und von anderen Menschen gemacht hat.

In dieser Vielfalt hat die Malerei ihre gleichberechtigte Bedeutung. Es interessiert eine breitgefächerte Ausrichtung, die auch über den Tellerrand der Kunst blickt. Dieses Ziel ist auch den drei Malerinnen Nanny de Ruig, Renate Löbbecke und Irene Warnke gemeinsam. De Ruigs Maltechnik verschleiert das Dargestellte. Einzelne Elemente aus Landschaften sind in ihren Stilleben zwar erkennbar, besitzen aber eher einen verallgemeinernden Charakter, das heißt sie sind nicht eindeutig identifizierbar. Die Expressivität der Farbe scheint hier im Vordergrund zu stehen. Bei Löbbecke wird das Bildgeschehen durch das Ornament geprägt. Es interessiert der menschliche Körper, der verschachtelt und verschieden variiert in gleichmäßiger Wiederholung zusammengesetzt wird. Durch den monochromen Farbflächengrund wird ein visueller Reiz erzeugt, der optische Täuschungen provoziert. Die Malerei von Warnke scheint dem realistischen Abbild am nächsten. Aber auch hier, und dies gilt insbesondere für die Darstellung der menschlichen Gestalt, fällt ein verallgemeinernder Charakter auf. Gebärden sind zwar angedeutet, aber es ist häufig keine Physiognomie erkennbar. Insgesamt sieht sich der Betrachter bei den hier kurz skizzierten künstlerischen Positionen mit einer Pluralität künstlerischer Eingriffe und Wertsetzungen konfrontiert, die ihm quasi simultan eine sinnliche Erkenntnis und ästhetische Wahrnehmung ermöglichen. Ein entscheidender Aspekt verbindet die drei Künstlerinnen: In der Konvergenz und Divergenz von Geistes- und Naturwissenschaftlichem als individuelles und subjektives Echo auf die Welt, auf Erlebnisse, Erfahrungen, auf Begegnungen, auf ganzheitliche Auseinandersetzung von Gesehenem und Gehörtem, von Gelesenem und Gefühltem, verstehen sie ihre Kunst als eine noetische Dienstleistung: Ohne Bilder sind wir blind.

In der Konsequenz dieses Ansatzes ist Wirklichkeit ein Konstrukt, das wir mit fiktionalen Mitteln durch Anschauungsformen, Projektionen, Phantasmen und Bildern hervorbringen. Erkennen ist eine grundlegend metaphorische Tätigkeit. Der Mensch ist ein „animal fingens“. Wir schaffen Organisationsformen, die so beweglich und elastisch verfaßt sein müssen, wie die Wirklichkeit variabel und veränderlich ist. Alle unsere Orientierungen sind fiktional strukturiert und sehr fragil. Im Zentrum von Wahrnehmen und Verstehen befinden sich folglich nicht mehr gegenständliche, sondern energetische Welten. Das Interesse für letzteres Feld ist denn auch erkenntnisleitendes Interesse in der Malerei von Nanny de Ruig, Renate Löbbecke und Irene Warnke.

Oliver Zybok